Mit dem Ausrufen des Endes der Niedrig-Volatilitäts-Phase hat man sich in den vergangenen Jahren keinen Gefallen getan. Die Märkte schafften es stets, ihre Schwankungen noch weiter runter zu fahren. Die Art und Weise, wie sie ihr Phlegma trotz aller politischen Schlagzeilen zelebrierten, würde ein eigenes Kapital in jedem neu erscheinenden Zen-Buch rechtfertigen. Doch das noch junge Jahr 2018 hat der Schwankungsarmut ein Ende gesetzt, die Tiefststände scheinen in weiter Ferne. Dazu einige Zahlen: Am 8. Februar beendete der S&P 500, nach über 400 Tagen, seine bisher längste Phase ohne 5-Prozent-Rücksetzer. In diesem Jahr ist der S&P 500 bereits 16 Mal um mehr als 1,0 Prozent geschwankt und damit doppelt so oft wie im gesamten Jahr 2017. Und dann ist da natürlich noch die Mutter aller Volatilitätskennzahlen, der Vix, der die implizierte Volatilität (im weiteren Text auch mit "Vola" abgekürzt) von kurzlaufenden Optionen auf den S&P 500 abbildet. Er ist am 5. Februar sowohl prozentual als auch absolut so stark gestiegen wie nie zuvor an einem einzelnen Tag - um 20 Punkte, beziehungsweise um 116 Prozent, wenn man Tageschlusskurse zugrunde legt. Und noch eine Zahl, die das Besondere am Jahr 2017 verdeutlicht: An ganzen 55 Tagen blieb der Vix unter 10 Punkten. Seit seiner Auflegung im Juni 1990 hat er es bis Ende 2016 insgesamt gerade mal auf 10 Tage unter 10 gebracht. Und zunächst sah es so aus, als würde das laufende Jahr nahtlos am Vorjahr anknüpfen: an sieben von acht Handelstagen lag der Vix unter 10.
Die Volatilität des S&P 500: Trendwende im Februar?

Quellen: Thomsons Reuters Datastream, Deutsche Asset Management Investment GmbH; Stand: 13.03.2018
Doch Ende Januar war dann Schluss mit der Ruhe, die Anleger wurden jäh aus ihrem über einjährigen Winterschlaf gerissen. Die Aufregung war entsprechend groß, die ersten Schreckensszenarien machten schnell die Runde. Und doch war es im Rückblick nur ein kurzer Schreck. Nachdem der S&P 500 am 5. Februar erstmals unter seinen Jahresanfangsstand rutschte, brauchte es gerade einmal acht Handelstage, bevor er wieder vorne lag. Der MSCI AC World Index war sogar dank der relativen Stärke einiger Schwellenländerbörsen nur vier Tage im Minus.
Gründe für die schnelle Erholung
Auch wenn sich die Börsen recht schnell wieder erholten, blieb die Volatilität noch länger hoch. Definiert man 20 als Schwelle, ab der hohe Vola beginnt, so dauerte die jüngste Hoch-Vola-Phase ganze 21 Handelstage. Wie die Grafik zeigt, gab es 2017 nach dieser Definition keinen einzigen Hoch-Vola-Tag. Und man muss bis Anfang 2016 zurückblicken, um auf eine längere Phase zu stoßen.
Länge der Perioden, in denen der Vix über 20 notierte*

Quellen: Thomson Reuters Datastream, Deutsche Asset Management Investment GmbH; Stand: 13.03.2018
* Eine Hoch-Vola-Periode endet jeweils, wenn an mehr als vier aufeinanderfolgenden Tagen der Vix unter 20 notiert.
Mittlerweile notiert der Vix schon wieder einige Tage unter der 20er-Schwelle. Wir sehen folgende vier Gründe, warum die jüngste Korrektur von so kurzer Dauer war:
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Der Rücksetzer folgte einem ungewöhnlich starken Jahresauftakt: Bevor der Januar zu Ende war, hatte der MSCI AC World 7,3 Prozent zugelegt. Einige regionale Indizes hatten zu diesem Zeitpunkt bereits unsere 12-Monatsziele geknackt oder waren nah dran. Man könnte die Korrektur also auch als "Zurück auf Los" nach einem etwas zu euphorischen Jahresstart betrachten.
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Die Korrektur fiel in eine Phase, in der es weiterhin reichlich positive volkswirtschaftliche Daten und ebenso zuversichtliche Meldungen von den Unternehmen gab. Insbesondere zeigten sich bei den US-Unternehmen bereits recht früh die ersten Spuren der Trump'schen Steuergeschenke: sie trieben wie erwartet Nettogewinne und Aktienrückkaufpläne an und sorgten zudem für steigende Analystenschätzungen für die Investitionsausgaben der Unternehmen.
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Der dritte Faktor lässt sich nicht eindeutig als Folge oder als Ursache klassifizieren. Jedenfalls blieb dem Markt die große, sich selbst verstärkende Abwärtsspirale erspart, was sich einerseits in der Kürze der Korrektur zeigt, aber vielleicht auch durch diese Kürze erklärt werden kann. Was meinen wir damit? Neben den gängigen marktpsychologischen Mustern, dass Kursrückgänge als negatives Signal gewertet werden, damit die Skepsis erhöhen, und damit zu weiteren Verkäufen führen, gibt es auch ganz emotionslose Handelsstrategien, die letztlich in eine ähnliche Richtung laufen: a) Hedgefondsstrategien, die überwiegend darauf setzen, an bestehenden Trends zu partizipieren, namens CTA (Commodity Trading Advisors), b) Fonds, die versuchen, über ein gesamtes Portfolio eine bestimmte Ziel-Volatilität zu erreichen (Target-Vol-Strategien) und c) Fonds, die ihr Vermögen entsprechend dem Risikobeitrag einer Vermögensklasse aufteilen. Allen drei Strategien ist gemein, dass sie einen starken pro-zyklischen Anlagestil haben und bei Marktkorrekturen schnell als Sündenböcke herhalten müssen, wenn diese sich nach unten dynamisch verselbständigen. Allerdings sind alle drei Strategien weit weniger starr und unflexibel als viele glauben. Sei es, dass die CTAs für ihre Momentumstrategien längere Perioden zugrunde legen können, sei es, dass bei den anderen zwei genannten Strategien menschliches Eingreifen möglich ist.
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Dafür, dass die Anleger die Korrektur mehr auf technische als auf fundamentale Gründe zurückführen konnten, spricht ein ganz spezieller Brandbeschleuniger dieser Korrektur: Short-Vola-Strategien und insbesondere Short-Vola-Instrumente, auf die wir im Folgenden kurz eingehen wollen.
Maximale Vola durch Vola-Vermeidung
Die Finanzinstrumente, mit denen man am aggressivsten auf niedrige Vola spekulieren kann, verkaufen Volatilität leer. Sie werden daher short[1]-, oder inverse Vola-Produkte genannt. Auch wenn sie schon lange kein Nischenprodukt mehr waren – die zwei führenden Papiere (einer davon war der VelocityShares Daily Inverse VIX Short-Term ETN von Credit Suisse, kurz Xiv genannt) hatten fast vier Milliarden Dollar eingesammelt - wurden sie dem breiteren Publikum erst durch die Marktturbulenzen bekannt. Insbesondere der Xiv erlangte quasi über Nacht Berühmtheit, da der 5. Februar ihn so aus der Bahn warf, dass er anschließend liquidiert werden musste. Wir hatten vor eben diesem Szenario in unserer Studie vom Juni 2017 "Volatilität – warum wir auf Nummer sicher gehen" gewarnt.
Mit Vola long lange kein Geld verdient, mit Vola short schneller Verlust der Gewinne

Quelle: Thomsons Reuters Datastream; Stand: 13.03.2018
* VelocityShares Daily Inverse VIX Short-Term ETN
Denn auch wenn in der siebenjährige Geschichte dieses Instruments viele Anleger damit gute Erträge erwirtschaftet haben, so ist das wenig Trost für jene, die am Schluss investiert und alles verloren haben. Andererseits konnten Anleger in Instrumenten, die auf steigende Volatilität gesetzt haben, Anfang Februar ihren Einsatz zwar verdoppeln, doch im Vergleich zu den jahrelangen Verlusten verblasste auch dies (siehe Grafik). Allerdings kann man vom Xiv nicht direkt auf alle weiteren Short-Vola-Instrumente rückschließen, da er zu den aggressivsten Papieren gehörte, indem er sich auf das kurze Ende der Vola-Laufzeiten konzentrierte. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl ähnlicher Instrumente, die deutlich defensiver konstruiert sind und nur Verluste im niedrigen zweistelligen Bereich einstecken mussten. Laut Zahlen von Bloomberg sollen vor dem Markteinbruch rund zwei Billionen Dollar in Strategien investiert worden seien, die auf niedrige oder fallende Volatilität setzten. Allerdings ist die Abgrenzung alles andere als eindeutig, da letztlich auch eine direkte Anlage in Aktien von sinkender Volatilität profitiert. Die Grenzen sind fließend. Bevor wir auf die von uns bevorzugten Vola-Strategien eingehen, wollen wir zunächst erläutern, wie unser Blick auf die mittelfristige Entwicklung der Vola aussieht.
Quo vadis, Vola?
Über verschiedene Szenarien zur weiteren Entwicklung der Marktschwankungen lässt sich vortrefflich streiten, denn es fließen zunächst einmal viele subjektive Überlegungen in die Diskussion, welche Faktoren für nervösere Märkte sprechen könnten. Hier eine kleine Auswahl:
Was spricht für höhere Volatilität?
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Die US-Wirtschaft befindet sich im Spätzyklus, der noch deutliche Kennzeichen einer Überhitzung entwickeln könnte.
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Im Weißen Haus haben mit den Abgängen von Gary Cohn und Rex Tillerson jene Berater an Gewicht gewonnen, die stärkerem Protektionismus das Wort reden. Die Gefahren möglicher Handelskriege scheinen Donald Trump kaum zu beeindrucken.
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Steigende Inflationszahlen.
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Zentralbanken, die die alternativen Geldmaßnahmen (QE) zurückfahren und die Zinsen beibehalten oder bereits anheben.
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Die Wahl in Italien (siehe Eine italienische Überraschung )
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Brexit. Auch wenn Premierministerin Theresa May zuletzt deutlich realistischere Töne anschlug, bleibt der Zeitplan angesichts der Vielzahl an notwendigen Vertragsverhandlungen ambitioniert.
Was spricht für niedrige Volatilität?
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Synchrones Wachstum weltweit. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Wir rechnen mit 3,9 Prozent sowohl für 2018 als auch 2019.
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Die Einkaufsmanagerindizes werden es zwar schwer haben, neue Höhen zu erreichen, aber sie bewegen sich weiter auf expansivem Niveau.
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Die Anleger dürften nach wie vor davon ausgehen, dass ihnen die Zentralbanken bei größeren Verwerfungen zur Seite stehen werden. Zudem besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass keine Zentralbank das Risiko eingehen möchte, mittels einer vermeintlich zu aggressiven Zinspolitik als Totengräber der Konjunktur gebrandmarkt zu werden.
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Die Inflation bewegt sich weiter auf historisch niedrigen Niveaus.
Wie man sieht, gibt es für beide Seiten gute Argumente. Wir würden aus den Beobachtungen der vergangenen Jahre und des Jahresanfangs folgende Schlüsse ziehen:
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Auf politischer Ebene sind in den vergangenen Jahren außerordentlich überraschende Dinge passiert. Die Auswirkungen auf die Märkte waren in der Regel deutlich geringer als angenommen wurde. Für uns bedeutet das, dass wir nach wie vor politische Ereignisse aus Markt- und vor allem Volatilitätsgesichtspunkten nicht überinterpretieren wollen. Es sei denn, die politischen Entscheidungen haben spürbare wirtschaftliche Folgen. Davon gehen wir beim Brexit aus. Und diese könnten sich auch zeigen, wenn sich die aktuellen protektionistischen Umtriebe, im Falle einer Eskalation zu einem Handelskrieg mausern.
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Der Markteinbruch Anfang Februar hat einmal mehr gezeigt, welche Sorge den Markt am meisten beherrscht: die Gefahr einer plötzlichen Inflationseruption und entsprechender Zinsanstiege.
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Marktnervosität steigt vor allem dann an, wenn sich Brüche abzeichnen. Wenn aus den Deflationssorgen Inflationssorgen werden. Wenn das Reaktionsmuster neuer Zentralbankentscheider noch nicht bekannt ist.
Unsere Marktprognose….
Anleger, die ihr Geld in der dritten Januarwoche angelegt haben und zwischendurch rund zehn Prozent hinten lagen, werden jetzt zwar die Augen verdrehen, aber wir denken: Es war ein für die Märkte gesunder Rückschlag. Er korrigierte einen etwas zu forschen Jahresstart, eine etwas zu einseitige Positionierung sowie eine etwas zu entspannte Risikotoleranz. Dies rückte auch einige Bewertungsungleichgewichte wieder etwas zurecht.
Märkte gesunder Rückschlag. Er korrigierte einen etwas zu forschen Jahresstart, eine etwas zu einseitige Positionierung sowie eine etwas zu entspannte Risikotoleranz. Dies rückte auch einige Bewertungsungleichgewichte wieder etwas zurecht.
Wir gehen davon aus, dass wir im vergangenen Jahr den Tiefpunkt der Volatilität gesehen haben. Doch der laufende Zinszyklus sowie der Anfang der Bilanzverkürzung der großen Zentralbanken (Eurozone, Japan, USA), den wir spätestens im vierten Quartal dieses Jahres erwarten, sind nun zu allgegenwärtig, um von den Märkten ignoriert zu werden. Als Risikoszenario für die kommenden ein bis zwei Jahre sehen wir vor allem die Rückkehr der Wirkung der Phillipskurve, schlimmstenfalls in nicht-linearer Form (siehe dazu "Niedrig und langsam" – vorerst ). Damit meinen wir die Gefahr eines sprunghaften Anstiegs der Lohnkosten in den USA, wenn die Arbeitslosenzahl eine bestimmte Schwelle unterschreitet.
Dies entspricht jedoch nicht unserem Kernszenario. Wir gehen weiter davon aus, dass Inflation und Zinsen in diesem Zyklus keine große Aufwärtsbewegung mehr vollziehen werden. So erwarten wir, dass die US Federal Reserve ihren Erhöhungszyklus bei einem Stand von etwa 3,0 Prozent bereits beenden könnte. Wir erwarten zwar ein volatileres Jahr, da sich die Anleger mit den Themen Überhitzung und Zinszyklus auseinandersetzen müssen. Gleichzeitig wirkt der global synchrone Aufschwung weiter als Sicherungsnetz, welches den Börsen noch einen längeren spätzyklischen Herbst bescheren könnte. Mittelfristig dürfte das durchschnittliche Vola-Niveau zwar nur leicht ansteigen, doch rechnen wir nach wir vor mit plötzlichen Vola-Ausbrüchen.
…und wie wir uns im Multi-Asset-Bereich entsprechend positionieren
Wir bevorzugen in dem oben beschriebenen Umfeld in den entwickelten Ländern Aktien gegenüber Anleihen. Darüber hinaus sehen wir in den Schwellenländern sowohl bei Aktien als auch bei Anleihen und Währungen ein überzeugendes Risiko-Rendite-Verhältnis.
Da wir mit weiteren Vola-Ausbrüchen rechnen, werden wir auch weiterhin keine aggressiven Short-Vola-Strategien fahren. Unseres Erachtens gibt es elegantere Methoden, von der Vola oder von Vola-Veränderungen zu profitieren. Dazu gehört etwa, die Konvexität der Vola-Kurve für sich zu nutzen, also sich entsprechend der unterschiedlichen Bewertungen entlang der Fälligkeiten der Vola-Instrumente zu positionieren.
Eine andere Strategie, die unseres Erachtens mit dem leichten Anstieg des durchschnittlichen Vola-Niveaus noch interessanter geworden ist, besteht im Schreiben von Verkaufsoptionen – also Stillhaltergeschäfte einzugehen. Exemplarisch zeigt die untere Grafik, wie sich eine Anlage in einen Index entwickelt hätte, der Verkaufsoptionen auf den S&P 500 geschrieben, und als Sicherheit einen entsprechenden Barbetrag verzinslich angelegt hätte. Der Index hat sich über einen Zeitraum von 20 Jahren ähnlich gut wie der S&P 500 entwickelt, jedoch mit deutlich niedrigerer Volatilität.
Mit Stillhaltergeschäften kam man entspannter zum gleichen Ziel

Quellen: Thomsons Reuters Datastream, Deutsche Asset Management Investment GmbH; Stand: 13.03.2018