09. Mrz 2020

"Einer der schrecklichsten Aspekte der Geisterfischerei ist der sogenannte Todeskreislauf."

Pascal van Erp, der Tauchkoordinator bei Healthy Seas gibt im Interview Einblicke zum Ablauf der Bergungsmissionen

5 Minuten Lesezeit

Die „Healthy Seas“-Initiative wurde 2013 ins Leben gerufen, um das Phänomen der Geisterfischerei zu bekämpfen, das für den unnötigen Tod von Meerestieren verantwortlich ist. Durch Säuberungsaktionen mit freiwilligen Tauchern und durch die Zusammenarbeit mit Interessenvertretern des Fischereisektors zur Vermeidung von Meeresmüll sammelt Healthy Seas Geisternetze ein und stellt sicher, dass sie als wertvolle Ressource verwertet werden. 

Die Arbeit der Taucher ist schwierig und gefährlich, und oft herrschen dabei schlechte Sichtverhältnisse, beispielsweise in der Nordsee. Jedes Jahr von Februar bis Dezember konzentriert sich Healthy Seas auf seine Taucheinsätze, die stets vom Wetter abhängen. Die Tauchteams bestehen aus Freiwilligen, die sich mit großer Leidenschaft einsetzen – in den Sommermonaten findet mitunter an jedem Wochenende ein Taucheinsatz statt.

Eine Gruppe von Tauchern kann an einem Tag bis zu 300 kg an Geisternetzen bergen. Pascal van Erp, der Tauchkoordinator bei Healthy Seas, erklärt im Folgenden, wie diese Einsätze ablaufen:

In den meisten Fällen informieren uns Fischer und andere Taucher, wo sich Geisternetze befinden.

Pascal van Erp

Wie sind Sie zu HEALTHY SEAS gekommen?

Unser Team taucht seit vielen Jahren an Schiffswracks. Fischereinetze verfangen sich am häufigsten gerade an solchen Tauchplätzen und gehen den Fischern somit verloren. Unser Team ergriff die Initiative und hat Säuberungstauchgänge mit anderen gleichgesinnten Tauchern organisiert. Das wiederum weckte die Aufmerksamkeit der Gründer der Healthy Seas-Initiative, die uns anboten, die so geborgenen Fischernetze einem nützlichen Zweck zuzuführen. Das Entfernen der Netze erfordert hohe Präzision und ist nicht ungefährlich, daher arbeiten wir nur mit einem gut ausgebildeten Team. Die Mitglieder kennen sich alle sehr gut, und sie alle befolgen sehr strenge technische Tauchstandards und ‑verfahren, um maximale Sicherheit zu gewährleisten.

 

Woher wissen Sie, wo sich Netze befinden?

Diese Frage ist leider sehr leicht zu beantworten: Netze finden sich an allen Unterwasserobjekten, sei es ein Wrack, ein Stein oder ein Riff. Sie verfangen sich an allem, was aus dem sandigen Meeresgrund herausragt. In den meisten Fällen informieren uns Fischer und andere Taucher, wo sich Geisternetze befinden.

Wo und wie oft tauchen Sie?

Wir tauchen in ganz Europa und jedes Wochenende, sofern es die Wetterbedingungen erlauben. Ein regelmäßiger Nordseetauchgang in unserem eigenen Land (den Niederlanden) umfasst beispielsweise zwei Tauchgänge pro Tag, genau bei Stauwasser (Wechsel der Gezeiten). Zwischen den Stauwasserphasen liegt ein Zeitraum von sechs Stunden. Wir tauchen mit einem Team von 6–12 Tauchern, die alle gleich ausgebildet sind und auf die gleiche Weise arbeiten, so dass wir schnell auf alle Probleme reagieren können, die unter Wasser auftreten können.

 

Was motiviert Sie, weiterzumachen?

Die Geisterfischerei ist ein riesiges Problem, das mit jedem Tag größer wird. Schätzungen zufolge bleiben jedes Jahr 640.000 Tonnen an Fischereiausrüstung durch Verlust oder absichtliche Entsorgung in den Meeren und Ozeanen zurück. Jedes Mal, wenn wir tauchen, stoßen wir auf neue im Wasser verbliebene Fischfangausrüstung. Als Team bemühen wir uns unermüdlich um eine Lösung dieses Problems, indem wir handeln und größtmögliche Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wecken.

Pascal van Erp

Gründer der Ghost Fishing Foundation - Technischer Taucher

Einer der schrecklichsten Aspekte der Geisterfischerei ist der sogenannte Todeskreislauf.

Pascal van Erp

Warum ist es so wichtig, die Geisterfischerei zu stoppen?

Einer der schrecklichsten Aspekte der Geisterfischerei ist der sogenannte Todeskreislauf. Fische und andere Meerestiere verfangen sich in Geisternetzen und locken größere Fressfeinde an, die sich dann ebenfalls im Geisternetz verfangen und den Kreislauf fortsetzen.

Die meisten Fischernetze bestehen aus Kunststoff, der sich nicht zersetzt und ewig im Meer schwimmt, wobei sich langsam winzige Partikel – Mikroplastik genannt – herauslösen, die in die Körper der Fische und letztlich der Menschen gelangen.

 

 Was sind die größten Herausforderungen, wenn man verlorene Fischfangausrüstung aus dem Wasser holen will? Wie meistern Sie diese?

Wenn Fischer ihre Netze im Meer verlieren, können diese nur von hochqualifizierten technischen Tauchern wieder entfernt werden, die für diese Arbeit ausgebildet sind. Unvorhersehbare Wetterbedingungen, schlechte Sicht, tiefes Wasser, aber auch hohe Kosten für die Befüllung von Gasflaschen, die Anreise und die Anmietung von Booten sind einige der Herausforderungen. Die aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen sind in jedem Land unterschiedlich, was für jede international tätige Initiative wie Healthy Seas ebenfalls ein Hindernis darstellt.

Die Taucher sind sehr gut ausgebildet, befolgen strenge Regeln und agieren als Team, um ihre Arbeit sicher und erfolgreich auszuführen. Die anderen oben beschriebenen Herausforderungen werden dank guter Vorbereitung und Organisation sowie zuverlässiger Partner vor Ort gemeistert.

Die Bergung umfasst auch die Rettung von Tieren. Welche Erfahrungen sind dabei besonders in Erinnerung geblieben?

Was die Rettung von Tieren anbelangt, gibt es meiner Erfahrung nach kein einziges Tier, das gegen Geisternetze gefeit ist. Leider finden wir in den Netzen Meerestiere aller Art: Haie, Delfine, Robben und auch weniger häufige Tiere wie Tintenfische, Seesterne und sogar Seegurken. Wir haben schon alles erlebt und die Lage ist sehr besorgniserregend.

In diesem Sommer fanden wir in der Adria zwei Gewöhnliche Stachelrochen, einer davon war bereits tot. Der andere – gefunden am allerletzten Tauchtag – hatte sich in 28 Metern Tiefe in einem Kiemennetz verfangen und konnte befreit werden. Wir kamen gerade noch rechtzeitig – schon bald wäre er attackiert und gefressen worden. Die Befreiung des Rochens war ein ganz besonderes, spannendes Erlebnis, und beim Anblick des Stachels, mit dem er sich verteidigte, musste ich kurz an Steve Erwin denken. Es war ein sehr schöner Moment, ihn schließlich davonschwimmen zu sehen.

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