12. Mai 2023 Europa

Gehen Industrie und Dax getrennte Wege?

Die jüngsten Auftrags- und Produktionszahlen der deutschen Industrie sehen auf den ersten Blick entmutigend aus. Auf den zweiten Blick sieht es weniger schlimm aus.

Um 10,7 Prozent gegenüber dem Vormonat[1] sind die Auftragseingänge im deutschen Verarbeitenden Gewerbe real eingebrochen, meldete das Statistische Bundesamt am 5. Mai, gegenüber dem Vorjahr[2] sogar um 11 Prozent. Und am 8. Mai folgten dann die Produktionszahlen: um 3,4 Prozent gegenüber dem Vormonat eingebrochen. Das entspricht allerdings immerhin einem Anstieg von 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Gleichwohl klingt das erstmal nach hartem Toback und scheint gar nicht zu dem Geschehen an der Börse zu passen, wo der Dax in Reichweite eines neuen Rekordhochs handelt. Wie wenig das passt, zeigt auch unser „Chart of the Week“, wo eine große Lücke zwischen der Entwicklung der Auftragseingänge und dem Aktienindex klafft.

Auftragseingänge und -bestand der deutschen Industrie vs Dax


Quellen: Bloomberg Finance L.P., Haver, DWS Investment GmbH; Stand: 09.05.2023

Wie ist das zu erklären? Sicherlich nicht damit, dass der Dax, seit er von 30 auf 40 Mitglieder gewachsen ist, einen deutlich höheren Dienstleistungsanteil aufweist. Vielmehr ist diese Anomalie einmal mehr mit den Verzerrungen aus der Covid-Zeit zu erklären. Vor allem 2021, aber auch 2022 wurden aufgrund der Unsicherheiten bei den globalen Lieferketten die Läger etwas voller als sonst gehalten. Verändertes Konsum- und Arbeitsverhalten führte zudem zu Investitionsschüben in manchen Sektoren. Gleichzeitig führte aber auch das absehbare Ende der Covid-Maßnahmen und die sich daraus ergebene konjunkturelle Belebung zu einem außergewöhnlichen Anstieg der Auftragseingänge. Dies hat dazu geführt, dass die Auftragsbücher trotz schwächelnder Neuaufträge immer noch prall gefüllt sind, wie der „Chart of the Week“ ebenfalls zeigt. Für den Februar wies das Statistische Bundesamt eine durchschnittliche Reichweite des Auftragsbestands im Verarbeitenden Gewerbe von 7,5 Monaten aus. Nur knapp unter den rekordhohen acht Monaten Anfang 2022, aber deutlich über dem Schnitt der vergangenen zehn Jahre, der unter sechs Monaten lag. Dies heißt nicht, dass man über die Schwäche bei den Neuaufträgen einfach hinwegsehen sollte. Aber solange aus den Rückgängen kein Trend werden sollte, stützen die Zahlen unser konjunkturelles Bild für dieses Jahr: kein Boom, kein Absturz, eher eine „stabile Seitenlage“. Das würde jedoch noch nicht erklären, warum der Dax nah seinem historischen Hoch notiert. Hierzu muss man auch noch die Gewinnentwicklung des Index betrachten. Die Gewinne stehen auf Rekordhoch für das abgelaufene Jahr. Und, wenn man dem Konsens der Analysten trauen will, folgen 2023 und 2024 weitere Rekorde. Auch wenn hier manche weniger optimistisch in die Zukunft blicken dürften, so gehen wir immerhin davon aus, dass sich der deutsche Leitindex dieses Jahr relativ besser als der globale Index entwickeln dürfte.

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