Herr Wöhrmann, wir wollten zwar über die Zinswende in den USA reden. Doch der Fed U.S. Federal Reserve Board (Fed)Zentralbanksystem der USA, welches allgemein auch US-Notenbank genannt wird wurde im August durch die chinesische Zentralbank (PBoC Chinesische VolksbankNotenbank der Volksrepublik China) die Show gestohlen. Sie ist nach der Schweizer Nationalbank (SNB) damit die zweite in diesem Jahr, die die Märkte mit einer Reduzierung ihrer Deviseninterventionen schockiert. Der chinesische Yuan ist nun nicht mehr starr an den US-Dollar gebunden, sondern darf sich mehr an Angebot und Nachfrage orientieren, was für viel Aufregung sorgte. Warum reagieren Anleger so panisch auf ein bisschen mehr Markt?
Im Falle Chinas war die Reaktion auf der Währungsseite ja noch überschaubar, sicherlich auch wegen Stützungsmaßnahmen der PBoC. Gegenüber dem US-Dollar gab der Yuan über drei Tage rund fünf Prozent ab, bevor er sich stabilisierte. Er hatte zuvor allerdings aufgrund seiner US-Dollar-Bindung gegenüber den meisten anderen Währungen dieses Jahr aufgewertet und gegenüber dem US-Dollar hat der reale effektive Wechselkurs des Yuan seit der Finanzkrise um 50 Prozent zugelegt. Gegen eine Abwertung spricht daher wenig. Aber die Märkte deuteten diesen Schritt beinahe als Offenbarungseid der PBoC hinsichtlich der Wirtschaftslage Chinas.
Wie geht es mit dem Yuan weiter?
Das muss sich erst noch zeigen. Einerseits möchte China seiner wirtschaftlichen Größe entsprechend in internationalen Institutionen repräsentiert sein. Es berücksichtigt daher die Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF), um den Yuan-Einzug in die Sonderziehungsrechte zu ermöglichen. Außerdem weiß China, dass es langfristig zentrale Variablen wie Zins, Kreditvolumen und Wechselkurs stärker den Marktkräften aussetzen muss, um Ungleichgewichte zu vermeiden. So ist die Wechselkurslockerung ja nur eines von mehreren Kapitalmarktliberalisierungsvorhaben Chinas. Andererseits verliert Peking nur ungern Kontrolle über so wichtige Kenngrößen. Wahrscheinlich wird die PBoC mittelfristig den Yuan an einen breiteren Währungskorb binden, sich dabei aber Spielräume offenlassen. Langfristig dürfte sie den Yuan wohl freier schwanken lassen und nur punktuell eingreifen. Ich halte das für einen notwendigen und positiven Schritt für China. Ein Land dieser Größe, welches fast ein Sechstel des Welthandels auf sich vereint, kann seine Währung an keine andere binden. Durch die Lockerung können Fehlpreisungen der Währung schneller korrigiert werden und damit größere Marktungleichgewichte besser bekämpft oder gar verhindert werden.
Die Abwertung beschleunigte die Kursverluste der globalen Aktienmärkte. War es Zufall, dass dieser Schritt genau jetzt erfolgte?
Man kann diesen Schritt nicht losgelöst vom wirtschaftlichen Umfeld betrachten. Die Anleger werteten ihn als weiteres Indiz für Chinas Wachstumsschwäche. Gleichzeitig wachsen die Zweifel an der Lösungskompetenz und -fähigkeit der chinesischen Autoritäten. Die Abwertung erfolgte ja nur wenige Wochen nach den drastischen Eingriffen am Aktienmarkt, die im Nachhinein eher hilflos wirken.
Hat Peking also Angst vor den Geistern, die es rief?
Peking möchte ein bisschen schwanger sein. Noch traut es den Märkten nicht ganz. Wie schnell Anlegermassen die Märkte in die eine und andere Richtung laufen lassen, hat man unterschätzt. Dass Peking mit drastischen Eingriffen in die Eigentumsrechte auch ausländischer Investoren reagiert hat, war ein Fehler. Es ist zu hoffen, dass dies temporäre Geburtsschwierigkeiten bleiben. Denn der Liberalisierungsprozess der Kapitalmärkte ist, wie so viele wirtschaftspolitische Vorhaben, ein längerfristiger Plan. Sicherlich haben der Exporteinbruch im Juli um 8,9 Prozent und der relativ starke Yuan als Mitauslöser der Kapitalabflüsse (rund 300 Mrd. US-Dollar in zwölf Monaten) das Timing mitbestimmt. Aber dass China einen Währungskrieg riskiert, halte ich für wenig wahrscheinlich. Langfristig dürfte Peking vielmehr einen starken Yuan anstreben.
Warum das?
China möchte weg vom Investitions-Export-Modell. Der heimische Konsum, der Dienstleistungssektor, die Wertschöpfungstiefe und -qualität sowie die zuletzt schwachen Produktivitätsfortschritte sollen gefördert werden. Dabei hilft eine starke Währung.
Geht die chinesische Erfolgsstory zu Ende?
Ich bleibe langfristig zuversichtlich, da China trotz aller kurzfristigen Widrigkeiten permanent seinen Willen und seine Fähigkeit zur Transformation zeigt. Aber von einigen Mythen in Bezug auf China müssen wir uns verabschieden: Konstantes Wachstum. Hort der Stabilität. Exportnation. Werkbank der Welt. China wird zur Vermeidung von Kapitalfehlallokationen auch in der Realwirtschaft noch mehr Markt zulassen müssen. Das Wettlaufen der Regionen, einzelne Sektoren über stattliche Subventionen aufzupumpen, muss aufhören. Sektoren wie Zement, Stahl oder Solar leiden unter Überkapazitäten von einem Viertel und mehr. Der Dirigismus war hilfreich, um den Bauernstaat zur Welt-Werkbank zu transformieren. Der nächste Schritt wird schwieriger und holpriger.
Was heißt das für die Anleger?
Chinas Transformation wird weiterhin für Bremsspuren in seiner Wirtschaft sorgen und die Regierung sich weiter an den Unberechenbarkeiten freier Märkte reiben. Anleger – und Firmen – müssen sich darauf einstellen, nicht mehr blind auf konstantes China-Wachstum setzen zu können. Vielmehr muss man sich, auch aufgrund der unbefriedigenden Qualität öffentlicher Wirtschaftsdaten, von Quartal zu Quartal vortasten. Wer einen längerfristigen Horizont hat, findet aber schon jetzt zunehmend interessante Titel unter den H-Aktien.
Asoka Wöhrmann
China muss sich mehr zutrauen
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China muss einen immer höheren Aufwand betreiben, um seine Wachstumsraten stabil zu halten. Diese führten zwar dazu, dass das Land zur zweitgrößten Wirtschaftsnation aufstieg. Ein Preis war jedoch die Verdopplung der Verschuldung in Relation zum BIP seit 2008. Auch leidet das Land unter allerlei Überkapazitäten und die Wettbewerbsfähigkeit unter der starken Lohninflation. Chinas Führung ist dabei, die Wirtschaftsstruktur zu ändern, was das Wachstum aber zunächst belasten dürfte.