Sind am Ende doch die Devisenhändler die weitsichtigsten Kapitalmarktteilnehmer? Können fast 5 Billionen US-Dollar, die täglich im Währungsmarkt in oder aus dem US-Dollar gehandelt werden, falsch liegen? Seit Mitte 2011 hat der Dollar gegenüber einem breiten Währungskorb aufgewertet. Doch zum Jahreswechsel 2016/17 endete diese Rally und der Dollar begann zu schwächeln. Also nur zwei Monate nach der Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten. Hat der Devisenmarkt antizipiert, dass Trumps unorthodoxer Politikstil der globalen Leitwährung schaden könnte? Hat er von vornherein konjunkturelle Überhitzung, steigendes Zwillingsdefizit, Aufkündigung internationaler Handelsverträge, ruppiges Vorgehen gegenüber Verbündeten und eine sinkende Attraktivität des Dollars als dominierende Abwicklungs- und Reservewährung befürchtet?
So könnte man es natürlich sehen. Und mittel- bis langfristig dürften diese Faktoren sicher noch belastend auf den Dollar wirken. Doch man könnte umgehend auch eine Handvoll anderer Gründe, zwingender Kausalitäten und eindrucksvoller Korrelationen finden, welche die Dollar-Schwäche just ab Anfang 2017 erklären. Im Nachhinein ist das bei Devisen nicht schwer. Sich aus dem großen Fundus aus kurz-, mittel- oder langfristigen Einflussfaktoren zu bedienen, um vergangene Bewegungen zu begründen. Was darf es etwa für den jüngsten Dollar-Schub von 1,25 auf 1,15 gegenüber dem Euro sein? Langfristig, die durch Italien wieder aufgeflammte Sorge um die Eurozone? Mittelfristig, die jüngst in den USA anziehende und in Europa nachlassende wirtschaftliche Dynamik? Oder kurzfristig, die Positionierung professioneller Anleger und die Charttechnik?
Wir glauben, dass man im Devisenmarkt selten weit kommt, wenn man nur auf ein Erklärungsmuster vertraut. Es wirkt eine Vielzahl von Faktoren auf Währungen, deren Einflussstärke zudem mit der Zeit variiert. Die Herausforderung, der wir uns als Devisenstrategen stellen müssen, liegt weniger in der Beobachtung dieser Faktoren, als in der Beurteilung, welcher Faktor wann zum entscheidenden Treiber einer Währung wird. Man kann langfristige Entwicklungen frühzeitig erkennen, und dennoch lange Zeit am Markt falsch liegen. Wir arbeiten daher mit Modellen, welche sich im Wesentlichen auf drei Säulen stützen: Makroökonomische Fundamentaldaten, Stimmung (Sentiment) und Positionierung, sowie Markttechnik. Es handelt sich dabei nicht um ein starres, rein quantitatives Modell, sondern um ein dynamisches Rahmenwerk, welches wir regelmäßig mit unserer qualitativen Einschätzung abgleichen. Unsere Leiterin Devisenstrategie, Stefanie Holtze-Jen, fasst ihre Arbeit so zusammen: "Beim Währungshandel kommt es darauf an, ein gutes Gefühl für das Zusammenspiel der verschiedenen Treiber zu haben, insbesondere dafür, wann langfristige Faktoren wieder in den Fokus rücken und damit auch kurzfristige Faktoren dominieren. Wir haben neben den fundamentalen makroökonomischen Entwicklungen immer ein Auge auf die Positionierungen der Anleger und auch auf die Signale, die uns die Charttechnik liefert."
Während wir etwa aus strategischer Sicht schon längere Zeit auf einen stärkeren Dollar gesetzt hatten, haben wir dies taktisch in vielen unserer Portfolios erst Mitte April umgesetzt. Zu dem Zeitpunkt erschien uns einerseits die Positionierung der spekulativen Währungsterminhändler extrem Euro-euphorisch und gleichzeitig war der EUR/USD aus einem mehrwöchigen Seitwärtskanal ausgebrochen, was uns ein wichtiges charttechnisches Signal lieferte. Der Dollar hat daraufhin dank einer beeindruckenden Rally unser Kursziel von 1,15 schneller als gedacht erreicht. Wir haben nun im Rahmen unserer vierteljährlichen Strategiekonferenz unseren taktischen und strategischen Dollar-Ausblick erneut überprüft. Wir sind dabei zum Schluss gekommen, dass sich auf kurze Sicht die extremen Marktpositionierungen aufgelöst haben und der Kurschart keine klaren Signale liefert. Gleichzeitig sehen wir strukturell einige Faktoren, die den Dollar langfristig und den Euro mittelfristig belasten könnten. In Summe halten sich unserer Meinung nach diese verschiedenen Kräfte derzeit die Waage, sodass wir für die kommenden zwölf Monate von einer Seitwärtsbewegung dieses Währungspaares ausgehen. Das gilt, wie jede Prognose, auf Basis der jetzigen Lage und unserer heutigen makroökonomischen Prognosen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden uns aber bis Mitte 2019 genügend Ereignisse überraschen, die uns Gelegenheit geben werden, auf eine Richtung zu setzen.
Die vollständige Studie finden Sie hier zum Download: Dollar - Pros und Kontras