Durch die eskalierenden Spannungen in den globalen Handelsbeziehungen geraten unsere makroökonomischen Prognosen langsam aber sicher ins Wanken. US-Handelszölle werden immer öfter als Allzweckwaffe eingesetzt und dienen nicht mehr nur als Instrument zur Unterstützung fairer Handelsbeziehungen, sondern unter anderem auch zur Sicherung der Grenzen der Vereinigten Staaten. Die USA drohen Mexiko mit neuen Strafzöllen. Das soll Anreize schaffen, die illegale Einwanderung einzudämmen. Der Handelskonflikt erhält dadurch eine neue Dimension.
US-Präsident Donald Trump kündigte an, ab 10. Juni 2019 Zölle auf Importe aus Mexiko in Höhe von 5 Prozent zu erheben, die bis zum Oktober monatlich um 5 Prozent steigen sollen, bis sie 25 Prozent erreichen. Diese neuen Zollvorschriften sollen allerdings wieder eingestampft werden, sobald "KEINE illegalen Migranten mehr über Mexiko in unser Land kommen"[1] , so der US-Präsident in seinem Tweet. Die USA importieren jeden Monat Güter im Wert von etwa 30 Milliarden Dollar aus Mexiko – ungefähr 30 Prozent davon entfallen auf Autos und Autoteile. Mexiko will bislang während der laufenden Verhandlungen keine Gegenmaßnahmen ergreifen. Eine schnelle Deeskalation liegt somit durchaus noch im Bereich des Möglichen. Aber die Beziehungen zwischen den USA und Mexiko sind wohl bereits beschädigt. Und die verarbeitende Industrie der USA ist ohnehin schon durch die Strafzölle auf Importe aus China schwer belastet.
Auswirkungen:
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Die Anfangszölle in Höhe von 5 Prozent (ab 10. Juni 2019) würden alle mexikanischen Exporte in die Vereinigten Staaten betreffen und weiter ansteigen, bis die mexikanische Regierung die "Migrationskrise löst".1 Was Mexiko genau dafür tun kann und soll, bleibt vorerst offen. Würden diese neuen Zölle tatsächlich erhoben, dürften sie die Rentabilität des Automobilsektors global empfindlich belasten.
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Daneben könnte dieser Schritt ein weiteres Ziel des US-Präsidenten unmöglich machen: die Neugestaltung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (NAFTA) mit Kanada und Mexiko. Noch letzte Woche sah alles danach aus, als würde das bereits ausgehandelte Abkommen bald in Kraft treten können. Denn die US-Regierung hatte angekündigt, Kanada und Mexiko von den globalen Strafzöllen auf US-Stahl- und Aluminiumimporte auszunehmen, was Befürwortern auf allen Seiten Rückenwind verschaffte. Damit dürfte es nun wieder vorbei sein.
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Im Verhältnis zu China ist der Handelskonflikt durch den Fall Huawei so weit eskaliert, dass eine Annäherung, bei der beide Parteien ihr Gesicht wahren, so gut wie ausgeschlossen erscheint. Die Risiken für die globale Wirtschaft scheinen Tag für Tag zu steigen. Der offizielle chinesische Einkaufsmanagerindex im verarbeitenden Gewerbe fiel im Mai auf 49,4 Punkte (nach 50,1 im April). Auch die Detailkomponenten waren wenig ermutigend: Die Beschäftigungskomponente fiel auf den niedrigsten Stand seit der Finanzkrise, die Export-Auftragseingänge brachen ein. Importe waren ebenfalls stark rückläufig – schlechte Nachrichten für die Handelspartner Chinas. Etwas Trost mag die relativ robuste Stimmung im Dienstleistungssektor und Baugewerbe spenden: Der Index für das nichtproduzierende Gewerbe liegt bei 54,3. Aber aufgrund des kräftigen Gegenwinds im verarbeitenden Gewerbe (Eskalation des Handelskonflikts und sich verschärfender Konflikt um die Technologievorherrschaft), der nicht so schnell abflauen dürfte, ist mit negativen Auswirkungen auf den Binnenmarkt zu rechnen. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass China im Gegenzug den Export Seltener Erden in die USA stoppen könnte und dadurch Produktionsengpässe in den globalen Lieferketten entstünden.
Der Handelskonflikt hatte bereits durch den Abbruch der Gespräche zwischen China und den USA eine neue Eskalationsstufe erreicht. Mit seinem Mexiko-Tweet legte der US-Präsident noch eine Schippe drauf. Unser Basisszenario geht davon aus, dass letzten Endes die Vernunft siegen wird – aber dies müsste sich in den kommenden Wochen zumindest ansatzweise zeigen. Anlässe gäbe es dafür genug: vom G20-Gipfel, über die Umsetzung der angekündigten Strafzölle gegen China bis hin zu den neuen Strafzöllen gegen Mexiko.
Aus mehreren Gründen sind die kommenden Tage und Wochen entscheidend:
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Der S&P 500 war im Mai zum ersten Mal in diesem Jahr für den Monat rückläufig. Noch immer hoffen viele, dass die Märkte mäßigend auf Trumps Handelspolitik einwirken könnten. Die jüngsten Ereignisse schwächen diese Annahme. Wir schätzen die Gefahr einer deutlichen Korrektur (Rückgang des S&P um mehr als 10 Prozent) inzwischen hoch ein.
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Zölle auf Güter aus Mexiko würden sich noch unmittelbarer und negativer auf US-Unternehmen auswirken als die gegen China verhängten Zölle. Daher sollte der Widerstand aus den Reihen der Republikaner stärker sein als beim Thema China. Keine Reaktion aus der "Grand Old Party" hingegen wäre ein schlechtes Zeichen.
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Je länger sich der Konflikt zwischen den USA und China (so aufgeheizt wie aktuell) hinzieht, umso unwahrscheinlicher wird ein für beide Seiten gesichtswahrender Kompromiss.
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Dieser Konflikt könnte irgendwann eine Eigendynamik entwickeln, die keiner der beteiligten Entscheidungsträger zu stoppen vermag.
Während sich die Konsequenzen noch nicht in Fundamentaldaten niederschlagen, könnte eine weitere Eskalation durch die jüngst eingeleiteten Schritte eine Korrektur unserer wirtschafts- und geldpolitischen Prognosen erforderlich machen. Für die US-Wirtschaft ist mit einem niedrigeren Wachstum, höherer Inflation und aller Wahrscheinlichkeit nach einer alternativen Ausrichtung der Geldpolitik zu rechnen. Vorerst dürfte die US-Notenbank weiter abwarten – falls und solange es nicht zu einer deutlichen Verschlechterung der Finanzmarktbedingungen kommt. Das alles ändert vermutlich nur vergleichsweise wenig am Wachstumspfad für das restliche Jahr 2019, aber 2020 könnten die Auswirkungen schon deutlich größer sein. Die Stimmung von Unternehmen und Verbrauchern, sowie an den Finanzmärkten, beginnt bereits jetzt, sich deutlich zu verschlechtern. Ungeachtet der wirtschaftlichen Kosten spricht aber leider einiges dafür, dass die Trump-Administration an ihrem protektionistischen Kurs festhalten wird – zumindest für's Erste.
1 . Original-Tweet Donald Trump vom 30.05.2019, 19.30 Uhr EST: "On June 10th, the United States will impose a 5% Tariff on all goods coming into our Country from Mexico, until such time as illegal migrants coming through Mexico, and into our Country, STOP. The Tariff will gradually increase until the Illegal Immigration problem is remedied, at which time the Tariffs will be removed. […]"